Article: Zur Funktionalität infiniter Konstruktionen

Published in: Fremdsprachen und Hochschule (FuH) 62 (2001), 151-16

Zur Funktionalität infiniter Konstruktionen in der französischen Rechts- und Verwaltungssprache
Thomas Tinnefeld (Göttingen)


Vorwort

Im Mittelpunkt dieses Beitrages stehen drei infinite Konstruktionen des Französischen, die in der Rechts- und Verwaltungssprache zwar bedeutungsvoll sind, jedoch in der Fachsprachenforschung nicht hinreichend Berücksichtigung finden. Es handelt sich zum einen um die Partizipialkonstruktionen – also die participe présent- und die participe passé-Konstruktion -, zum anderen um die Adjektivkonstruktion. Im folgenden wird es zunächst darum gehen, die Leistungen dieser Konstruktionen für die Fachsprache einzuschätzen. Im Anschluß daran werden wir uns der Frage widmen, inwieweit die hier untersuchten Konstruktionen in ausgewählten Lehrwerken zur französischen Rechts- und Verwaltungssprache berücksichtigt werden. Darauf aufbauend, werden Konsequenzen für den fachorientierten Fremdsprachenunterricht zu ziehen sein. Den Abschluß bildet ein Musterkapitel zur Adjektivkonstruktion aus einer noch zu schaffenden fachsprachlichen Grammatik der französischen Rechts- und Verwaltungssprache.


1. Die Konstruktionen und ihre Leistungen für die Fachsprache

1.1 Die Partizipialkonstruktionen

Die Partizipialkonstruktionen können grundsätzlich attributiv, adjunktiv und in absoluter Konstruktion verwendet werden. In allen diesen Verwendungen sind sie im vorliegenden Zusammenhang ausschließlich in satzwertiger Hinsicht von Interesse.

Die participe passé-Konstruktion tritt – diese Zahlen gehen aus meiner Dissertation (Tinnefeld 1993) hervor, der das Journal officiel, das französische Amtsblatt, auf der Basis von 2000 ausgezählten Sätzen zugrundegelegt wurde – insgesamt 1996 mal auf – also fast in jedem Satz eine participe passé-Konstruktion. Dies entspricht einem relativen Anteil von 99.8. Damit ist sie etwa zweieinhalbmal so frequent wie die participe présent-Konstruktion (relativer Anteil:40.4). Da das participe présent im allgemeinen für das Aktiv, das participe passé dagegen für das Passiv steht, ist bei diesen beiden infiniten Konstruktionen eine klare Dominanz des Passivs gegenüber dem Aktiv zu konstatieren. Die französische Rechts- und Verwaltungssprache ist somit insgesamt durch eine ausgeprägte Passivität im Bereich der infiniten Formen geprägt. [1]

Im Rahmen der Partizipialkonstuktionen wird zunächst die participe présent-Konstruktion in attributiver Verwendung untersucht. In diesem begrunzten Rahmen können leider nur einige wenige ihrer Funktionen schlaglichtartig beleuchtet werden

Von großer Bedeutung ist sie in Überschriften von Gesetzestexten
Beispiel:

(1) Décret no 87-899 du 30 octobre 1987, autorisant le rattachement, par voie de fonds de concours, du produit des recettes provenant de l´aliénation de matériels informatiques, bureaucratiques et télématiques d´occasion faite par les ministères aux personnes privées ou publiques ne relevant pas du budget de l´Etat.
(J.O., L&D[2], 08.11.1987 13046)
[Anm des Verf.: In der Originalveröffentlichung sind die hier in den Beispielen kursiv gesetzten Elemente in unterstrichener Form dargestellt.]
Die Überschriften des Journal officiel repräsentieren ausnahmslos verblose Sätze. In ihnen wird mit Abstand am häufigsten die participe présent-Konstruktion verwendet. Ihr Gebrauch ist als ein wichtiges textuelles Merkmal der französischen Rechts- und Verwaltungssprache einzustufen. Die von der Partizipialkonstruktion ausgeübte Funktion ist hier diejenige der Informationsverdichtung: Der Inhalt von Gesetzestexten wird mit ihrer Hilfe in äußerst kondensierter Form dargebracht.

Ihr auch hier informationsverdichtender Charakter führt dazu, daß die participe présent-Konstruktion häufig in Aufzählungen steht und dort der Präzisierung der ausgedrückten Inhalte dient. Diese Verwendung kann man als ihre enumerativ-präzisierende Funktion bezeichnen.
Beispiel:
(2) <<>ayant obtenu, dans la discipline faisant l´objet du concours, une récompense d´un conservatoire national supérieur de musique, d´un conservatoire national de région ou d´une école nationale de musique ;
<<>pouvant, à défaut de ces diplômes, produire deux attestations de personnalités du monde musical certifiant qu´ils possèdent le niveau nécessaire pour se présenter au concours ;
<<>faisant l´objet du concours.>>
(J:O:, L&D, 29.11.1987)
Im Rahmen der einzelnen disjunktiv abgesetzten Textsegmente dienen die Partizipialkonstruktionen der Monosemierung der jeweils zu Beginn herausgestellten Nominalphrase. In dem zitierten Beispiel haben sie die Funktion der komplementären Restriktion der Unterschriftsvollmacht und die mit ihrer Hilfe ausgedrückten Sachverhalte somit unmittelbare Auswirkungen auf die Verwaltungspraxis.

Das fachsprachliche Potential der participe passé-Konstruktion in der Verwendung als Zustandsbeschreibung tritt besonders bei der Feststellung von Zuständigkeiten zu. Man vergleiche hier beispielsweise den Unterschriftenteil eines Dekrets.
Beispiel
(3) Par le Premier ministre :
Le ministre délégué auprès du ministre
de l´éducation nationale, chargé de la recherche
et de l´enseignement supérieur
,
JACQUES VALADE
Le ministre d´Etat, ministre de l´économie,
des finances et de la privatisation,
EDOUARD BALLADUR
Le ministre de la culture et de la communication,
FRANÇOIS LÈOTARD
Le minstre des affaires étrangères
JEAN-BERNARD-RAIMOND
Le ministre de l´éducation nationale,
RENÈ MONORY
Le ministre délégué auprès du Premier ministre,
chargé de la fonction publique et du Plan
,
HERVÈ DE CHARETTE
Le ministre délégué auprès du ministre de l´économie,
des finances et de la privatisation,
chargé du budget
,
ALAIN JUPPE

(J.O., L&D, 27.08.1987, 9816)
Die Verwendung der participe passé-Konstruktion ist hier weitgehend auf die Partizipien délégué (Beschreibung der Position) und chargé (Beschreibung des Zuständigkeitsbereiches der jeweiligen Politiker) konzentriert. Diese Beschreibung erfolgt separat für jeden einzelnen Politiker, woraus sich eine Häufung von Partizipialkonstruktionen ergibt. Es liegen hier unübersehbare Redundanzen vor, die jedoch nicht sprachlich analysierbar, sondern ausschließlich auf dem Hintergrund der Notwendigkeiten der Erstellung französischer Gesetzestexte zu sehen sind. Diese Informationen müssen an den entsprechenden Stellen im Text erscheinen. Die Verwendung der participe passé-Konstruktion ist hier Ausdruck der Norm juristischer Texterstellung.

Bei der Verwendung der participe passé-Konstruktion mit Agens-Ergänzung sind die Agenzien in der Regel unbelebt.
Beispiel:
(4) Seul le texte français fait foi.
En foi de quoi, les soussignés dûment autorisés par leurs Gouvernements respectifs, ont signé la présente Convention.
(J.O., L&D, 03.09.1987, 10159)
Es liegt hier kein Personenbezug, sondern reiner Institutionsbezug vor. Aktiv Handelnde sind die genannten Einrichtungen. Die natürliche Person tritt in der Fachsprache nicht nur zugunsten der juristischen Person zurück, sondern auch zugunsten solcher Einheiten, die als nicht-menschlich einzustufen sind.

Die wesentliche fachsprachenspezifische Verwendung der absoluten participe passé-Konstruktion besteht in der Referierung auf bereits existierende und für den jeweiligen Gesetzestext relevante Verordnungen. Dabei sind der Anzahl der auf diese Weise verwendeten Partizipialkonstruktionen prinzipiell keine Grenzen gesetzt.

Beispiel:
(5) Le ministre de l´éducation nationale,
Vu le code de l´enseignement technique ;
Vu le code du travail, et notamment son livre IX ;
Vu la loi no 71-577 du 16 juillet 1971 d´orientation sur l´enseignement technologique ;
Vu la loi no 75-620 du 11 juillet 1975 relative à l´éducation:
Vu la loi de programme no 85-1371 du 23 décembre 1985 relative à l´enseignement technologique et professionnel ;
Vu le décret no 72-279 du 12 avril relatif à l´homologation des titres et des diplômes de l´enseignement technologique ;
Vu le décret no 72-607 du 4 juillet 1972 relatif aux commissions professionnelles consultatives ;
Vu le décret no 76-1304 du 28 décembre 1976 relatif à l´organisation des formations dans les lycées ;
Vu le décret no 87-852 du 19 octobre 1987 portant règlement général des certificats d´aptitude professionnelle dérivé par le ministre de l´éducation nationale ;
Vu l´arrêté du 20 août 1986 portant création du certificat d´aptitude professionnelle de montage-ajustage de systèmes mécaniques et automatisés ;
Vu l´arrêt du 11 janvier 1988 fixant les modalités de prise en compte des résultats du contrôle continu pour les candidats aux certificats d´aptitude professionnelle par la voie scolaire ;
Vu l´avis de la commission professionnelle consultative compétente ;

Arrête :
(J.O., L&D, 17.01.1988, 833)
In dieser Verwendung ist die participe passé-Konstruktion – bis auf ganz wenige Ausnahmen – auf das Partizip Vu beschränkt, dem sein Subjekt nachgestellt ist. Darauf folgen in der Regel weitere Angaben, beispielsweise die Nennung der Paragraphen bzw. der Ziffern relevanter Gesetzestexte oder Artikel - bis zu einer kurzen inhaltlichen Charakterisierung der Texte selbst. Die durch die Partizipialkonstruktion eingeleiteten Einheiten repräsentieren jeweils eine separate Verweisung und sind in den Trägersatz eingebettet. Dieser enthält die Nennung der für den Gesetzestext formal verantwortlich zeichnenden Person(en) und – durch ein performatives Verb ausgedrückt – den entsprechenden Verordnungsakt. Der Verweisungsteil ist eine juristische Notwendigkeit, ohne die kein Langtext des Journal officiel auskommen kann. In dem zitierten Beispiel liegen zwölf absolute participe passé-Konstruktionen vor. Die Klammerstruktur des Textes bleibt jedoch erhalten. Subjekt und Verb des sie umgebenden Trägersatzes weisen eine erhebliche Trennung voneinander auf.

Trotz dieser auf die allerwichtigsten Aspekte beschränkten Darstellung ist die erhebliche Funktionalität und das große Funktionspotential der in der französischen Rechts- und Verwaltungssprache verwendeten Partizipialkonstruktionen deutlich geworden.

1.2 Die Adjektivkonstruktion

Die satzwertige Adjektivkonstruktion wird aus einer ihr zugrundeliegenden Konstruktion von finitem Verb – meist être – und Adjektiv gebildet, wobei die finite Form getilgt wird.

Die Adjektivkonstruktion weist mit insgesamt 584 Formen in 2000 Sätzen – also einem relativen Anteil von 29.2 – eine deutlich geringere Frequenz auf als die participe passé-Konstruktion, jedoch ist sie im Vergleich zur participe présent-Konstruktion überraschend frequent: In nahezu jedem dritten Satz des Journal officiel taucht eine Adjektivkonstruktion auf.

Obwohl die Adjektivkonstruktion quantitativ deutlich den Partizipialkonstruktionen rangiert ist, ist sie fachsprachlich dennoch von Bedeutung, da sie frequenter ist als beispielsweise der Relativsatz, der seinerseits eine für die Fachsprache wichtige Konstruktion darstellt.

In der vorliegenden Fachsprache belegt ist die gemeinsame Verwendung der satzwertigen Adjektivkonstruktion und der ihr zugrundeliegenden Langform.
Beispiel:
(6) Art. 4 – Les dispositions du décret no 85-79 du 22 janvier 1985 relatif au budget et au régime financier des établissements publics à caractère scientifique, culturel et professionnel, sont applicables à l´école, à l´exception de celles qui sont relatives au budget propre des composantes et sous réserve des dispositions de l´article 23 ci-dessous.
(J.O., L&D, 27.08.1987, 9814)

An dieser Verwendung zeigt sich nicht nur die große Nähe der Adjektivkonstruktion zu ihrer Langform, sondern auch, daß sie hier ausschließlich als attibutive Gliedsatzkonstruktion zu verstehen ist. Allgemein ist die Tendenz ablesbar, daß bei gemeinsamem Auftreten beider Formen die Adjektivkonstruktion ihrer Langform vorausgeht.
Die Adjektivkonstruktion ist für die Überschriften des Journal officiel von großer Bedeutung. Begünstigt wird ihre frequente Verwendung vor allem durch das Phänomen, daß dort im allgemeinen verblose Sätze vorliegen, die auf Gliedsatzebene infiniter Konstruktionen bedürfen. In Überschriften ist das Adjektiv relatif am häufigsten vertreten.

Der satzwertige Charakter der Adjektivkonstruktion wird auch durch ihre Nähe zu den Partizipialkonstruktionen unterstrichen.
Beispiel:
(7) Les produits importés ou exportés par l´Organisation et strictement nécessaires pour l´exercice de ses activités officielles sont exonérés de tous droits et taxes perçus à l´importation ou à l´exportation.
(J.O., L&D, 03.09.1987, 19159)
Beide Konstruktionen – Adjektiv- und participe passé-Konstruktion – können problemlos in syntaktischer Reihung auftreten. Allein anhand dieses Beispiels wird deutlich, daß keinerlei qualitative Unterschiede zwischen Partizipialkonstruktion und Adjektivkonstruktion feststellbar sind: Syntaktsich sind beide vollkommen gleichwertig.

Dieses Ergebnis wird auch dadurch gestützt, daß die Adjektivkonstruktion ebenfalls mit einer Agens-Ergänzung auftreten kann.
Beispiel:
(8) 3. Le voyageur qui ne peut présenter un billet valable doit payer, outre le prix du transport, une surtaxe calculée conformément aux prescriptions applicables par le chemin de fer qui exige le paiement de la surtaxe.
(J.O., L&D, 03.09.1987, 10162)
In der Reihung mit Nominalkonstruktionen, die dann ihrerseits als satzwertig betrachtet werden können, liegt eine weitere fachsprachlich genutzte Möglichkeit der Adjektivkonstruktion.
Beispiel:
(9) Art 1er. – L´importation sous tous régimes douaniers, autres que le transit de frontière à frontière sans rupture de charge, dans le territoire douanier, de plantes et parties de plantes vivantes ci-après : arbres, arbustes, plantes de pépinières, greffons et boutures (no 06-02 A ex II et ex D du tarif des douanes), appartenant aux genres cités en annexe I du présent arrêté et originaires ou en provenance des pays cités aux annexes III et IV, est soumise au respect des conditions sanitaires définies à l´article 2 ci-après.
(J.O., L&D, 01.11.1987, 12786)
Die Konstruktion originaire ou en provenance de tritt im Journal officiel so frequent auf, daß die Verbindung beider Elemente als fachsprachliche Norm angesehen werden kann. An dieser Verwendung wird deutlich, daß die Adjektivkonstruktion eine fachsprachlich relevante Kombinierbarkeit mit anderen satzwertigen Konstruktionen aufweist, wie sie wohl für keine ihrer Konkurrenzkonstruktionen gegeben ist.
Eine andere für die französische Rechts- und Verwaltungssprache wichtige Adjektivkonstruktion ist autre que. Ihre semantische Funktion erklärt ihre hohe Frequenz: Indem sie die inhaltliche Ausblendung von Sachverhalten bewirkt, die für den gegebenen Kontext bedeutungslos sind, hat sie für den fachsprachlichen Rezipienten Signalfunktion. Die Verwendung von autre que trägt auf sehr ökonomische Weise zu der für die französische Rechts- und Verwaltungssprache charakteristischen, größtmöglichen Exaktheit im Ausdruck bei.

In textueller Hinsicht spielt die Adjektivkonstruktion in den Überschriften des Journal officiel eine mindestens ebensogroße Rolle wie die Partizipialkonstruktionen.
Beispiel:
(10) Décret no 87-986 du 26 novembre 1987 approuvant le cahier des clauses techniques générales applicables aux marchés publics d´exploitation de chauffage ou aux marchés publics d´exploitation de chauffage avec gros entretien des installations
(J.O., L&D, 02.12.1987, 14024)
Wie die Partizipialkonstruktionen offeriert sie die Möglichkeit der syntaktischen Verkürzung, was bisweilen zu extremer Textverdichtung führt und sie für eine Verwendung in Überschriften prädestiniert. Auch in dieser Verwendung erweist sich die Adjektivkonstruktion als eine echte Alternative zu den Partizipialkonstruktionen.

Auch für die Adjektivkonstruktion kann eine zentrale kommunikative Funktion aller attributiven Gliedsatzkonstruktionen nachgewiesen werden: der Einschub prägnanter Informationen.
Beispiel:
(11) Art. 3. – Toute disposition contraire au présent arrêté est abrogée.
(J.O., L&D, 29.11.1987, 13951)
Hier liegt eine Gliedsatzkonstruktion vor, die der Monosemierung des vorangehenden Antezedens dient – im vorliegenden Fall zum Zwecke der Abgrenzung. Das Beispiel unterstreicht die extreme Verkürzung, die mit Hilfe der Adjektivkonstruktion möglich wird. Eine effektivere Verkürzung als mit Hilfe dieser Konstruktion ist kaum vorstellbar.

Insgesamt kann festgehalten werden, daß die Adjektivkonstruktion enorme syntaktische Möglichkeiten bietet, die die Fachsprache voll nutzt. Diese Möglichkeiten liegen in ihrer syntaktischen Nähe zu den Partizipialkonstruktionen, mit denen sie die beachtlichen Kombinationsmöglichkeiten und den textverkürzenden Charakter teilt. Im Rahmen der Zustandsbeschreibung stellt die Adjektivkonstruktion eine wichtige Alternative zu den Partizipialkonstruktionen dar. Die mit ihrer Hilfe erzielten syntaktischen Vorteile ermöglichen die Realisation fachsprachlich wichtiger kommunikativer Funktionen, die denen der Partizipialkonstruktionen vollkommen ebenbürtig sind.


2. Die Berücksichtigung von Partizipial- und Adjektivkonstruktionen in ausgewählten fachsprachlichen Lehrwerden

2.1 Alain de Schlichting: Le français juridique

Dieses im Jahre 1995 veröffentlichte Lehrwerk zum juristischen Französisch stellt laut Vorwort „un ouvrage d´introduction à la terminologie juridique basée sur des textes à teneur juridique avec explication et traduction du vocabulaire spécifique“ (7) dar. Seine Adressatengruppern sind deutsche Jura- und Wirtschaftsstudenten und solche in Übersetzer- und Dolmetscherstudiengängen ebenso wie Praktiker, Anwälte, in Wirtschaftsunternehmen tätige Juristen sowie Beamte deutscher Muttersprache und alle am juristischen Französisch privat, beruflich, schulisch sowie universitär Interessierte. Jedes Kapitel enthält zunächst eine allgemeine Einführung in den juristischen Themenbereich, gefolgt von einer kurzen Präsentation der nachfolgenden Texte. Ziel ist eine sofortige Sensibilisierung des Lesers für die jeweilige Materie, was ihm einen ohne jeglichen Zeitverlust vonstatten gehenden Zugang zu denjenigen Texten ermöglichen soll, die ihn besonders interessieren.

Angesichts dieser im Vorwort angeführten Zielgruppen ist es höchst bemerkenswert, daß das vorliegende Lehrwerk nichts weiter bietet als eine durch Vokabelhilfen gestützte Sammlung juristischer Texte, ohne daß auf sprachliche Aspekte der Terminologie oder gar grammatische Phänomene eingegangen wird: Grammatik kommt in diesem Lehrwerk schlichtweg nicht vor. Es existieren keine Übungen, keine erhellenen Kommentare der ausgewählten Texte – weder juristisch noch sprachlich -, und somit ist an eine Sensibilisierung der Adressaten hinsichtlich einzelner grammatischer Strukturen nicht zu denken. Kurzum: In diesem Leehrwerk werden weder Grammatik insgesamt noch die Partizipialkonstruktionen oder die Adjektivkonstruktion behandelt.

2.2 Christine Schmidt: Introduction à la langue juridique française

Das von Christine Schmidt im Jahre 1997 veröffentlichte Lehrwerk will seine Leser mit dem komplexen juristischen Fachvokabular anhand unterschiedlicher Themenkreise vertraut machen. Berücksichtigt werden dabei ebenso das Privatrecht, das Bürgerliche Recht, das Handels- und Arbeitsrecht wie auch das Strafrecht. Die einzelnen Lektionen sind durchgehend systematsich gegliedert: Zunächst figuriert der Lektionstext, in der nächsten Rubrik - „Pour aller plus loin“- findet eine Vertiefung der dargestellten Inhalte statt. Daran anschließend werden „Vocabulaire/Expression“ behandelt, hierauf „Exercices“, die im „Corrigé“ kommentiert werden. Ein „Récapitulatif“ schließt die einzelnen Lektionen ab.

Unter allen genannten Bestandteilen der einzelnen Lektionen bieten sich als einzige die Rubrik „Exercices“ für eine Behandlung grammatischer Phänomene an. Diese Rubrik enthält sowohl allgemein-juristische Aufgaben und Textanalysen, die Untersuchung juristischer Fälle, die Erstellung von Kurzanalysen von Rechtsfällen, als auch durchaus fachsprachlich orientierte Aufgabenstellungen, wie beispielsweise die stilistische Verbesserung eines gegebenen Textes (39f), Übungen zum Textverständnis (z.B. 70f), das Verlangen von Definitionen juristischer Begriffe (91), die Erarbeitung juristischer Terminologie (147) oder auch das Auffinden der Bedeutungen gängiger juristischer Kollokationen (158). Die genannten fachsprachlich orientierten Aufgabentypen sind mehrheitlich als positiv zu bewerten. Was jedoch vollkommen fehlt, ist die Behandlung grammatischer Phänomene.

Auch in der Publikation von Christine Schmidt tritt somit eine grammatische Behandlung solcher Strukturen wie der participe présent- und der participe passé-Konstruktionen oder der Adjektivkonstruktion in ihren entsprechenden Verwendungen nicht auf. Das Lehrwerk mag durchaus seine Vorteile haben und Lernern der juristischen Fachsprache im unterrichtlichen Kontext oder beim Selbststudium nützlich sein – grammatische Hilfestellung leistet es jedoch keineswegs. Das Lehrwerk ist für Lernende, die die Konventionen der französischen Rechts- und Verwaltungssprache für die eigenen Bedürfnisse erarbeiten möchten, auf grammatischerEbene vollkommen unzulänglich.

2.3 Mestre/Oellers-Frahm: Einführung in die französische Rechtssprache

Das vorliegende Lehrwerk, das sich zwar nur „eine mehr oder minder allgemeine Einführung in die einzelnen Rechtskapitel“ (1998:V) zum Ziel gesetzt hat, das aber – wie auf dem hinteren Buchdeckel ausgeführt ist – durch „die geschickte Kombination von Recht und Sprache“ „eine gute Einarbeitung in die Rechtssprache und das Rechtssystem Frankreichs“ ermöglichen soll, berücksichtigt grammatische Aspekte ebensowenig wie das Lehrwerk von Schmidt. Zwar enthält jedes Kapitel nach dem Lektionstext ein Glossaire, das die verschiedenen Termini auf französisch und deutsch darbringt, zum Teil auch Indications Vocabulaire, die die französischen Begriffe auf französisch definieren, und ebenfalls Questions zu den einzelnen Lektionstexten, die jedoch keinerlei sprachliche, sondern lediglich eine sachliche Orientierung an den Verhältnissen des französischen Rechtssystems ermöglichen. Hinweise zur Grammatik sind dagegen Fehlanzeige. Grammatik wird an keiner Stelle behandelt - und somit auch nicht die Partizipialkonstruktionen oder die Adjektivkonstruktion.

Auch dieses Lehrwerk weist also eine erhebliche Lücke auf, wenn es darum geht, nicht-frankophonen Studierenden die an der Grammatik orientierten Texterstellungsprinzipien ihrer Fachsprache näherzubringen. Auch dieses Lehrwerk folgt – wie die beiden zuvor untersuchten – dem Ansatz, daß eine Fachsprache lediglich aus Terminologie bestehe – ein Ansatz, der mehrere Jahrzehnte lang von der Fachsprachenforschung in gleicher Weise verfolgt wurde, der jedoch durch Arbeiten zu anderen Ebenen der Fachsprachenlinguistik - wie beispielsweise der Syntax – relativiert werden konnte, was eine allgemeinere, breitere Sicht auf Fachsprache ermöglichte. Die heutige fachorientierte Fremdsprachenvermittlung ist noch auf dieser, für die Linguistik als obsolet anzusehenden Stufe angesiedelt. Sie muß diese dringend überwinden, um in Zukunft für Lernende attraktiver zu werden.

2.4 J.-L. Penformis: Le français du droit

Das von J.-L. Penfornis im Jahre 1998 vorgelegte Lehrwerk, das sich – laut Vorwort – vier Ziele setzt, nämlich
- eine Einführung in das französische Recht zu bieten,
- eine Beschreibung sprachlicher Besonderheiten zu leisten,
- eine Vielzahl juristischer Dokumente zu präsentieren und
- realistische und für die Lernenden motivierende Aktivitäten anzuregen,
ist ebenfalls innerhalb der einzelnen Lektionen strikt und kohärent gegliedert. So ist jede der sechs großen Unités des Lehrwerkes in aus jeweils vier Seiten bestehende Teile gegliedert, bei denen zuerst ein einführender Text die Studierenden an das Thema heranführt. Eine Ergänzung zu diesem bietet die das gesamte Lehrerk durchlaufende Rubrik Comment dire, danach folgt eine den Einführungstext stützende Wiederholungsübung. Hieran schließt sich in der Regel ein ausführlicher Fließtext an, der ein authentisches juristisches Dokument darstellt. Dieser wiederum wird durch Übungen vertieft und lerntechnisch gesichert.

Für die Behandlung grammatischer Phänomene relevant ist die Rubrik Comment dire, die durchgehend und mit mehrheitlich funktionaler Ausrichtung grammatische Phänomene des Französischen behandelt und ihre Leistung für die Rechts- und Verwaltungssprache darlegt. Als Beispiele solcher Übungen seien genannt:
- das présent de l´indicatif zum Ausdruck einer obligation (13),
- das Passiv als in der Fachsprache gegenüber dem Aktiv bevorzugte
Form (17),
- die voix impersonnelle – z. B. il faut, il appartient à, il incombe à
mit der Funktion, niemanden anzusprechen, aber jedermann zu
meinen (21),
- Übungen zu Aspekten der Wortbildung (57, 71).

In diesem Lehrwerk tritt ebenfalls eine Übung zu den beiden Partizipien auf. Dieser Aspekt ist zunächst sehr positiv zu bewerten. Bei näherem Hinsehen jedoch erkennt man anhand der im folgenden zitierten Beschreibung der Partizipialkonstruktionen eine Relativierung:
Dans la langue du droit, les participes présents et les participes passés sont souvent employés comme noms pour désigner les acteurs du droit. Cette technique permet de raccourcir l´expression en évitant d´avoir recours à une proposition relative: <> devient <>, <> devient <<>>. (39)
Anhand dieser Beschreibung erkennt man, daß hier lediglich ein weniger relevanter Aspekt der Wortbildung aktualisiert wird, der gegenüber denjenigen Funktionen der beiden Partizipien, die zuvor von uns beschrieben worden sind und die als satzwertig bezeichnet werden können, funktional zurücktritt. Die Partizipien werden hier in keiner Weise syntaktisch, sondern lediglich lexikalisch behandelt, was eine ähnliche Kritik evoziert, wie sie zu den vorher untersuchten Lehrwerken formuliert worden ist: Fachsprache wird zum großen Teil auf die fachliche Lexik reduziert. Es wird nicht das enorme Funktionspotential der Partizipialkonstruktionen für die fachsprachliche Texterstellung deutlich gemacht; die Konstruktionen werden zwar behandelt, aber in einer Form, die für Lernende der französischen Rechts- und Verwaltungssprache ungleich weniger wertvoll ist, als dies der Fall sein könnte: Selbst wenn ein Lernender nicht auf die Idee käme, daß die Begriffe l´adoptant und le condamné aus ehemaligen Partizipien hervorgegangen sind, wäre er in der Lage, sich diese beiden Begriffe vokabularisch anzueignen. Hier ist somit eine große Chance vertan worden.

Es wird in unserer Untersuchung von vier Lehrwerken zur französischen Rechts- und Verwaltungssprache deutlich, daß grammatische Gesichtspunkte entweder gar nicht behandelt werden oder, wenn ja, partiell in funktional vielversprechender Form, jedoch nicht auf die Partizipialkosntruktionen bezogen. Die Adjektivkonstruktion wurde in keinem der Lehrwerke behandelt, auch nicht in dem als am didaktischsten und für Studierende am interessantesten einzustufenden Lehrwerk Le français du droit. In französischen Lehrwerken ist somit im Hinblick auf die von uns untersuchten Konstruktionen eine klaffende Lücke festzustellen.

Die Konsequenzen, die dieser Befund für den fachorientierten Fremdsprachenunterricht hat, werden im folgenden Kapitel zu erörtern sein.

3. Konsequenzen für den fachorientiertenFremdsprachen-
unterricht (FFU)

3.1 Relevanz für das fachsprachenspezifische Curriculum

Unsere Analyse hat gezeigt, daß Lernende im Hinblick auf die französische Rechts- und Verwaltungssprache bei der Behandlung von Grammatik allgemein und der Vermittlung der Partizipial- und Adjektivkonstruktionen weitestgehend allein gelassen werden. Für das fachsprachliche Curriculum ist zunächst die Frage von Bedeutung, welche Konstruktionen Studierende beherrschen müssen. Die Auswahl dieser relevanten Konstruktionen und grammatischen Strukturen richtet sich zum einen nach der Fachsprache und ihren kommunikativen Bedürfnissen und Erfordernissen selbst, zum anderen nach den potentiellen Arbeitsfeldern, in denen Studierende tätig sein werden. Ein Beispiel mag diesen Zusammenhang verdeutlichen: Ein Verwaltungsbeamter der EU wird in seinem Berufsleben umfassendere lexikalische und grammatische Kenntnisse der französischen Rechts- und Versaltungssprache haben müssen als der Anwalt eines deutschen mittelständischen Unternehmens, der eventuell hier und da einmal französische Originaltexte rezipieren muß.

Zu der Frage, welche Konstruktionen fachsprachlich relevant sind, tritt der qualitative Aspekt: Im FFU müssen Lernende die Funktionen der einzelnen Konstruktionen kennen, dabei muß der FFU auf dem allgemeinsprachlichen Fremdsprachenunterricht aufgebaut sein. Die grammatischen Fundamente müssen bei den Lernenden vorhanden sein – also beispielsweise die Bildung und die allgemeinsprachliche Verwendung einer Konstruktion. Der FFU ist somit komplementär zum allgemeinen Fremdsprachenunterrricht. Er muß dann einsetzen, wenn die Grammatik allgemeinsprachlich als bekannt vorausgesetzt werden kann – also auf einem fortgeschrittenen mittleren oder einem hohen Niveau.

Grundlage für die Behandlung von Grammatik im FFU müssen einschlägige fachsprachliche Untersuchungen sein. Sie sind die Basis, aufgrund derer Grammatik in Lehrwerken zu didaktisieren ist. Fachorientierte Lehrwerke selbst müssen die Grammatik unbedingt in ausführlicherer und detaillierterer Form integrieren - und dies unter funktionaler Ausrichtung. Sie müssen wegkommen von der bisher festzustellenden, nahezu ausschließlichen Terminologieorientierung: Die Terminologielastigkeit ist in Lehrwerken, die sich ernsthaft als fachsprachenorientierte Lehrwerke verstehen, nicht mehr aktuell – wie sie auch in der Fachsprachenforschung lange nicht mehr aktuell ist.

Über die Notwendigkeiten der Erstellung fachsprachlicher Lehrwerke hinaus, die die Grammatik in der beschriebenen Weise berücksichtigen, ist ein weiterer Aspekt von Bedeutung.

3.2 Die Notwendigkeit der Schaffung einer fachspezifischen
Grammatik

Wie ich bereits an anderer Stelle – vgl. Tinnefeld (1993a) – gefordert habe, wird es mittelfristig unausweichlich sein, eine fachsprachliche Grammatik zu erstellen. Mit dieser Forderung kann natürlich nicht gemeint sein, eine fachsprachliche Grammatik für alle Fachsprachen zu publizieren; idealtypisch müßte es eine Grammatik für jede einzelne Fachsprache geben oder zumindest für Fachsprachengruppen, die eine Affinität zueinander aufweisen. Unter Nicht-Berücksichtigung finanzieller Zwänge und des großen damit verbundenen Aufwandes wäre jedoch die seriöseste und ernsthafteste Lösung darin zu sehen, für jede wichtige Fachsprache eine separate Grammatik zu schaffen.

Grundlage auch einer solchen Grammatik - also im vorliegenden Falle einer fachsprachlichen Grammatik für die französische Rechts- und Verwaltungssprache – müssen ebenso, wie dies für Lehrwerke gefordert worden ist, einschlägige fachsprachliche Untersuchungen sein. Die in ihnen erarbeiteten Ergebnisse sind von Grammatikographen – die sowohl für die entsprechende Fremdsprache als auch, durch Ausbildung oder praktische Erfahrung, für das entsprechende Fach ausgewiesen sein müssen – in der Weise zu didaktisieren, daß sie die in der Regel hohe grammatische und syntaktische Komplexität der Fachsprache in verständlicher Form präsentieren.

Die Hauptstoßrichtung einer fachsprachlichen Grammatik kann nicht die Beschreibung der Bildung von Konstruktionen oder gar deren allgemeinsprachliche Verwendung sein – Stoßrichtung ist allein die Funktionalität fachsprachlich relevanter Strukturen. Dies bedeutet, daß eine fachsprachliche Grammatik in der Regel weniger umfangreich zu sein hat als eine allgemeinsprachliche Grammatik. Die fachsprachliche Grammatik baut auf der allgemeinsprachlichen auf und ist somit komplementär zu dieser zu lesen. Im Hinblick auf eine real existierende Publikation wäre es wünschenswert, wenn eine klare Beziehung zu einer bestehenden allgemeinsprachlichen Grammatik – für das Französische beispielsweise der Grammatik des heutigen Französisch von Klein/Kleineidam – erstellt würde und im Rahmen der fachsprachlichen Grammatik auf die jeweils relevanten Kapitel der allgemeinsprachlichen Grammatik explizit verwiesen würde. Somit würde idealtypisch ein grammatisches Netzwerk zwischen einer zugrundeliegenden allgemeinsprachlichen Grammatik und verschiedenen, jeweils auf eine bestimmte Fachsprache ausgerichteten, spezialisierten Grammatiken entstehen.

Angesichts der verhältnismäßigen Kürze einer fachsprachlichen Grammatik sollten durchaus auch Verlage für ein solches Projekt interessiert werden können: Die Kosten dafür dürften sich in tolerierbaren Grenzen halten lassen.

Die Frage, die in erster Linie bei der Realisierung eines fachsprachlichen Grammatikprojektes zu klären wäre, liegt darin festzustellen, ob es möglich ist, auf der Grundlage bestehender fachsprachlicher Untersuchungen die dort erarbeiteten fachsprachenspezifischen Phänomene in der Weise grammatikographisch zu didaktisieren, daß am Ende ein brauchbares, für Lernende geeignetes Ergebnis herauskommt. Diese Frage soll im folgenden Abschnitt am Beispiel der Adjektivkonstruktion zu klären versucht werden: Dabei wird es darum gehen, exemplarisch ein Probekapitel einer künftig zu schaffenden Fachsprachlichen Grammatik des Rechts- und Verwaltungs-französischen zu erarbeiten.

3.3 Probekapitel einer fachsprachlichen Grammatik der
französischen Rechts- und Verwaltungssprache:
die Adjektivkonstruktion

Die satzwertige Adjektivkonstruktion wird gebildet, indem ein durch mindestens eine Ergänzung erweitertes Adjektiv – an ein nominales Bezugselement angebunden – verwendet wird. Der Satz
Tout produit qui est originaire de ce pays est prohibé.
wird dann zu
Tout produit originaire de ce pays est prohibé.
In textueller Hinsicht kommt die Adjektivkonstruktion somit einem verkürzten Relativsatz gleich.

Fachsprachlich tritt sie häufig in Überschriften von Gesetzestexten auf:
Décret no ________ du 26 août 200___ relatif à l´Ecole
normale supérieure.
Hier ist das Adjektiv relatif besonders häufig zu finden. Dieser Gebrauch der Adjektivkonstruktion hat die Funktion, verwaltungsrechtliche Texte inhaltlich exakt und prägnant einzuordnen. Sie ermöglicht dem Leser eine rasche Orientierung Ihr textverdichtender Charakter kommt der Konstruktion zugute. Eine solche Überschrift wird somit zu einer fixierten Überschrift: Jegliche Wiederaufnahme ihrer in einem Text oder einer anderen Überschrift muß in identischer Form erfolgen.

Wie das Passiv kann auch die Adjektivkonstruktion mit einer Agens-Ergänzung auftreten. Diese Möglichkeit ist besonders dann gegeben, wenn das zugrundeliegende Adjektiv auf -able oder –ible endet und ihm dadurch ein modaler Charakter („kann“) zukomt:
Le voyageur qui ne peut présenter un billet valable doit payer, outre le prix du transport, une surtaxe calculée conformément aux préscriptions applicables par le chemin der fer qui exige le paiement de la surtaxe.
Da Adjektive auf –ible/-able in dieser Fachsprache häufig vorkommen, ergibt sich hier eine interessante, weil äußerst ökonomische Verwendung der Konstruktion. Vgl. alternativ die ungleich längere – und weniger elegant wirkende – Formulierung mit Hilfe eines Passivsatzes:
(...) préscriptions qui peuvent être appliquées par le chemin de fer.
Die Adjektivkonstruktion kann auch in Reihung mit einem Substantiv auftreten, das dann ebenfalls einen Nebensatz verkürzt:

L´importation sous tous régimes douaniers (...), originaires ou
en provenance
de pays cités aux annexes III et IV, est soumise au
respect des conditions sanitaires définies à l´article 2 ci-après.

Besonders die Verbindung originaire ou en provenance de ist in der französischen Rechts- und Verwaltungssprache sehr häufig anzutreffen. Sie zielt ab auf die Bezeichung der Herkunft von Waren und ist daher für zollrechtliche Bestimmungen von Relevanz.

Eine weitere fachsprachlich relevante Adjektivkonstruktion ist autre que:
L`importation sous tous régimes, autres que le transit de frontière
à frontière sans rupture de charge
, (...)
Ihre Funktion besteht in der inhaltlichen Ausgrenzung von Sachverhalten, die in einem gegebenen Zusammenhang bedeutungslos sind. Sie hat für den Leser Signalfunktion.

Aufgrund ihrer großen satzbautechnischen Kombinierbarkeit kann die Adjektivkonstruktion im Text durchaus gehäuft auftreten:
Peuvent seuls être autorisés à concourir les cadidats agés de
moins de quarante ans au 1er janvier 1987 titulaires d´un
diplôme, certificat ou titre permettant l´exercice en France des
activités de vétérinaire.
Solche gehäuften Verwendungen lassen den Fachtext nicht unnötig schwerfällig erscheinen. Ihr Vorteil: Sie ermöglichen die mehrfache Bezugnahme auf ein und dasselbe Substantiv. Diese Verwendung wird dadurch gestützt, daß sich das Adjektiv in Genus und Numerus an sein Bezugssubstantiv angleicht.

Die Adjektivkonstruktion läßt sich auch für die Gliederung von Texten nutzen. Diese Möglichkeit ist beispielsweise dann gegeben, wenn ein Adjektiv zwei- oder mehrfach in paralleler Form ein und dasselbe Substantiv an sich bindet:
Les candidats titulaires d´un certificat d´aptitude professionnelle
ou d´un brevet d´etudes professionnelles du même secteur
professionnel ou d´un diplôme classé au moins au niveau IV sont
dispensés de l´évaluation prévue dans les domaines généraux.
Les candidats titulaire d´un diplôme classé au moins au niveau V
sont dispensés de l´évaluation prévue dans le domaine de
l´éducation physique et sportive.
Die so entstehende Parallelität im Ausdruck strukturiert den entstehenden Text formal und erleichtert das Textverständnis. Zugleich wird deutlich gemacht, daß für die angesprochenen Gruppen von Personen oder Sachverhalten vergleichbare Bestimmungen gelten. Eine andere Möglichkeit besteht darin, diese voneinander abzugrenzen. Die Textgliederungsfunktion der Adjektivkonstruktion trägt also zu einer größeren fachsprachlichen Übersichtlichkeit bei.

Die Adjektivkonstruktion ermöglicht den prägnanten Einschub sachlich relevanter Informationen:
Les autorité compétentes selon le paragraphe 1 sont:
- les Etats membres, pour leurs représentants ;
- le comité administratif, pour le directeur général ;
- le directeur général, pour les autres membres du personnel ainsi
que pour les experts auxquels l´Organisation fait appel
(114/246)
Unter texttypographischem Gesichtspunkt ist die Adjektivkonstruktion sehr gut mit der Verwendung von Spiegelstrichen kombinierbar. Diese Affinität wird dadurch gestützt, daß sie selbst den Satzbau und auch den Textaufbau nicht belastet und diese daher für die Versprachlichung weiterer Informationen aufnahmefähig macht.

3.4 Auswertung
Es hat sich gezeigt, daß es durchaus möglich ist, auf der Grundlage einer bestehenden Untersuchung zur französischen Fachsprache des Rechts und der Verwaltung zu einer ausgewählten, für diese Fachsprache relevanten Konstruktion ein Probekapitel zu erstellen, das es Lernenden ermöglicht, diese Konstruktion in ihren passiven und aktiven Sprachschatz aufzunehmen. Dabei ist im gegebenen Zusammenhang mit Absicht eine Konstruktion gewählt worden, die auch in allgemeinsprachlicher Perspektive grammatikographisch bisher sträflich vernachlässigt worden ist.

Ein wichtiges Kriterium, an das sich Autoren von fachsprachlichen Grammatiken bei dieser Arbeit halten müssen, liegt darin, in fachsprachlichen Untersuchungen erarbeitete Ergebnisse zu verallgemeinern, ohne dabei das Funktionspotential gegebener Konstruktionen zu vergröbern. Stoßrichtung muß also sein, eine Generalisierung unter Berücksichtigung der bestehenden Detailtreue vorzunehmen. Dabei ist besonders auf die prägnante Formulierung von Regeln und Kommentaren zu achten. Priorität in der Darstellung haben jedoch die Beispiele, da deren illustrierender Charakter durch keinerlei Kommentar zu übertreffen ist.

Durch diesen Schritt der Schaffung einer fachspezifischen Grammatik, der hier ansatzweise exemplifiziert worden ist, würde die Fachsprachenforschung eine weitere Sinnhaftigkeit erhalten: hin zu einem benutzerfreundlichen Ansatz, der – durch die Berücksichtigung seitens einer größeren Adressatengruppe – auch über die Fachsprachenforschung im engeren Sinne und auch über die Linguistik hinausweisen würde. Durch die Schaffung fachspezifischer Grammatiken und durch die verstärkte Erstellung fachsprachenorientierter Lehrwerke, in denen Grammatik und Syntax neben der Lexik berücksichtigt würden, könnte es gelingen, der Fachsprachenforschung auch über ihr eigenes Wirkungsfeld hinaus weitere Geltung zu verschaffen.


Bibliographische Angaben


Klein, H.-W./H. Kleineidam (1983, 21995) Grammatik des heutigen Französisch. Stuttgart

Mestre, C./K. Oellers-Frahm (1998): Einführung in die französische Rechtssprache – Introduction au français juridique. Bern

Penfornis, J.-L. (1998): Le français du droit. Paris

Schlichting, A. de (1995): Le français juridique. Ismaning

Schmidt, Ch. (1997): Introduction à la langue juridique française. Baden-Baden

Schwarze, Ch. (1988): Grammatik der italienischen Sprache. Tübingen

Tinnefeld, T. (1993): Die Syntax des ´Journal officiel´. Eine Analyse der Fachsprache des Rechts und der Verwaltung im Gegenwartsfranzösischen. Bochum

Tinnefeld, T. (1993a): Plädoyer für die Schaffung einer fachsprachlichen Grammatik. In: Fremdsprachen und Hochschule (FuH) 37 (1993), 49-69


[1] Im Hinblick auf die quantitative Cistribution der hier untersuchten Konstruktionen vgl. Tinnefeld 1993: 157ff
[2] Die Abkürzung „L&D“ steht hier für die Rubrik „Lois et Décrets“ des Journal officiel.